Verpasste Chancen
Verpasste Chancen      

Der Titel „Verpasste Chancen“ klingt im Schach ein wenig nach  Ausreden für zu Unrecht verlorene Partien. So, als hätte es einen unkontrollierten Einfluss auf  die eigenen Entscheidungen gegeben. Ein großer Anteil der Fehlerquote liegt natürlich bei einer falschen Zugberechnung. Egal, ob man einen Zwischenzug übersehen oder eine Variante nicht ausreichend gewürdigt hat, die Ursache ist meistens ein Rechenfehler.

Man kann diese Fehler noch unterteilen in ‚taktische Rechenfehler’ und ‚strategische Fehleinschätzungen’.  Wie man die Dinge auch dreht, die Ursache allen Übels ist, dass man sich schlicht verrechnet hat, bzw. dass die Berechnungen nicht ausreichend waren. Die Arbeit an diesen Defiziten ist eine wesentliche Voraussetzung für Verbesserung.


An dieser Stelle möchte ich aber nicht nur von solchen  Rechenfehlern sprechen, sondern auch von Varianten, die man am Brett kaum berechnen kann. Manche dieser Varianten sind unwahrscheinlich und bieten sich nicht als logischer Teil des Spielplanes an. Natürlich gehören hierzu auch Eröffnungsfallen bzw. Abspiele, die im Rahmen der Eröffnungstheorie gelernt werden müssen.


Meine eigenen Spiele bieten mir ausreichende Beispiele, die zeigen, dass ich immer wieder in diese ‚Fettnäpfchen’ trete.  



Beispiel 2:  ALLE Drohungen einer Stellung erkennen , Varianten zu Ende rechnen !

Häufig kommt es vor, dass sich hinter einer Drohung eine weitere Drohung verbirgt, entsprechend der Warnung an französischen Bahnübergängen: „Un train peut en cacher un autre !“ - „Hinter einem durchfahrenden Zug kann sich ein zweiter Zug befinden.“

So kann es auch im Schach vorkommen, dass man sich mit einer erkannten Drohung zufrieden gibt und seinen Zug nur auf dieses Ziel ausrichtet. Umgekehrt kann natürlich auch der Gegner von Mehrfachdrohungen profitieren.


Es ist natürlich einfach zu sagen, man muss alle in einer Stellungen liegenden Drohungen und Drohpotentiale beachten. So weit so gut, aber häufig scheint die erste Drohung schon ausreichend, dass man gar nicht mehr nach weiteren Möglichkeiten Ausschau hält. Damit wären wir beim zweiten Thema dieses Beispiels: Man sollte bei der konkreten Variantenberechnung immer ganz bis zum Ende rechnen. Häufig glaubt man nur, am Ende einer Variante zu sein,  weil man einen vermeintlichen Vorteil bzw. Nachteil erkannt hat. Dann springt man zur nächsten Variante und übersieht möglicherweise, dass die erste Variante doch noch Potential hatte und durchaus spielbar war.


Das folgende Beispiel zeigt auf eine einfache Weise, wie solche Fehler entstehen, zumindestens auf meinem Niveau und - in diesem Fall - auch unter Zeitnot.

Nach dem 35. …f5 war die nebenstehende Stellung entstanden.


Als ‚Primärdrohung’ zeigen die grünen Pfeile, dassbeide Parteien einen Turm angreifen. Werden diese Drohungen ausgeführt (wie in der Partie geschehen), gewinnt Weiß zwar den Bauern auf e4, muss aber in der Folge gegen einen Freibauern in der a-Linie kämpfen.  Wegen der ungleichen Läufer konnte ich die Partie aber trotzdem im 60. Zug Remis halten.


Die ‚Sekundärdrohungen’ entstehen, wenn Weiß den Turm e4 aus der Primärdrohung nach e2 zurück zieht und den Läufer auf a2 angreift. Weiß hat jetzt zwei neue Drohungen, nämlich Txa2 und immer noch Txd8, die nicht mehr angemesser zu parieren sind. Stellt Schwarz nämlich mit 36…Tc8 ebenfalls die neue Drohung Tc8xc7 auf, kann sich der Läufer mit dem Zwischenschach 37.Ld6 + aus der Drohung entfernen, während sein Kollege auf a2 anschliessend geschlagen werden kann. Spielt er aber 36…Td7, so zieht sich der Lc7 nach f4 zurück und die zwei Drohungen Te8+ mit Turmgewinn oder Txa2 können nicht befriedigend pariert werden.

Die Berechnungen in diesem Fall benötigen sicherlich etwas Zeit, mehr als man möglicherweise unter Zeitnot investieren möchte. Ausserdem scheint einem der Spatz in der Hand (Bauergewinn auf e4) sicherer zu sein als die Taube auf dem Dach. Fakt ist aber, erkennt man die ersten und zweiten Drohungen richtig und berechnet zweitens die offensichtlichen Varianten bis zum Schluss, kann die Punktausbeute grösser sein. In diesem Fall wäre es immerhin ein halber Punkt gewesen.Die Partie (Caro-Kann) ist auch aus eröffnungtheoretischer Sicht interessant. Deshalb kann sie HIER komplett nachgespielt werden.

(Diagramm 1:  Stellung nach 19…  Dxc6)


Nach 19 Zügen war die nebenstehende Theoriestellung entstanden:

Es ist offensichtlich, dass die Mattdrohung auf  g2 nur durch 20.e4 oder 20.f3 abgewendet werden kann.  


Prüfen wir zuerst  20.e4:

Die weiße Felderschwäche bleibt erhalten, ebenso wie die Grundreihenschwäche. Der Läufer auf e2 bewacht zwar beide schwachen Felder, f3 und d1, aber dies kann er natürlich nicht gleichzeitig tun . Also könnte man auf die Idee kommen, den Läufer abzulenken.

Zum Beispiel mit 20…Db5 !  Nach den Zügen …


20. e4    Db5  


…werden  die Angriffsmarken deutlich, Weiß kann das Matt nicht verhindern.


(Diagramm 2: Stellung nach 20…Db5 !!)


Die Dame darf jetzt nicht genommen werden wegen Td1+ nebst Matt.

Andererseits hilft 21.c4 wegen  Dxc4 nicht.

Nach Deckung der Grundreihe, zum Beispiel durch  21.Ld2,geht der Läufer auf e2 verloren und die Mattdrohungen bleiben erhalten .


21. Ld2   Dxe2

22. De3  Df3         am einfachsten.

23. Dxf3  Sxf3+

24. Kh1   Txd2     und das Matt lässt nicht mehr lange auf sich warten.




In meiner Partie gegen Heppner habe ich nach 20.e4 leider mit 20…Sg6 weiter gespielt und in der Folge verdarb ich mir eine große Chance. Hier das ganze Elend…  Heppner-Cors, LK , 1968


Aber was ist, wenn Weiß das Turmopfer nicht annimt sondern sofort 21…Kf2 spielt ? Also:

20.     f3  Td1+ !

21.   Kf2  

(Diagramm  5: Stellung nach 21. Kf2)


Jetzt kann Schwarz entweder mit 21.Sg4+ die Dame gewinnen gegen Turm und Läufer oder weiter mit 21..f6 auf Gewinn spielen.  Beide Fortsetzungen gewinnen für Schwarz.


21…       Sg4+   vielleicht am einfachsten, obwohl Schwarz nach 21…f6 auch immer den
                         feinen Zug Th1 zur Verfügung hat.

22. Dxg4 Lxg4   sollte der Baufer f3 auf g4 nehmen, setzt die schwarze Dame auf g2 Matt !!  

22  Lxd1  Df6 oder g5  oder Le6

FRITZ bewertet die die Stellung mit etwas -3.00 für Schwarz. Das sollte in jedem Fall für einen schwarzen Sieg reichen.


Mit 20.e4 ist das Spiel für Weiß also schnell verloren. Wie sieht es mit der Erwiderung 20.f3 aus ? Dies kam auch in der Larsen-Partie vor.


20….f3

(Diagramm 3: Stellung nach der Erwiderung 20. f3 )


Jetzt kann der Läufer e2 nicht durch die Dame abgelenkt werden, der König hat ja das Fluchtfeld f2 hat.

Nach 20.f3 erfolgt die Ablenkung aber durch 20..Td1!!

Und jetzt wird die Variante diabolisch ! Selbst wenn man dieses Manöver sieht, fällt es auf den ersten Blick schwer, nach der Annahme des Turmopfers auf d1 eine entscheidende Angriffsfortsetzung für Schwarz nach der Blockade der Diagonalen durch 22. c4  zu erkennen. Dies wäre die Zugfolge:


20.      f3  Td1+ !

21.  Lxd1  Db5 !

22.     c4               und wie soll es jetzt weiter gehen ?!


(Diagramm 4: Stellung nach 22…c4)


Aber es geht weiter ! Schwarz erneuert seine Drohungen mit 22…..Da5 !

22…        Da5 !!   


Schwarz stellt wieder eine entscheidende Mattdrohung auf. Der seidene Faden, an dem der schwarze Erfolg hängt, ist die Springergabel auf d3. Damit steht dem König nicht mehr das Fluchtfeld f2 offen, er würde die Dame verlieren.  

Alle anderen Züge sind ebenso unzureichend, Weiß kann die Grundreihe nur unter Figurenopfer decken und danach ist die Mattdrohung auf g2 unheilbar.


23.   Kf2   Sd3+  mit Damengewinn und es reicht danach für Schwarz zum Gewinn.


Oder


23. Ld2     Dxd2  und das Matt auf g2 ist nicht zu decken.




Beispiel 1:    Nimzo-Indisch (Moderne Variante),  E59


Beginnen möchte ich mit einer Stellung,  die sogar im Eröffnungsbuch von Mark Taimanow "Nimzowitsch-Indisch bis Katalanisch" (S. 184) aufgeführt wird. Das Abspiel endet hier hier mit der Bemerkung "Schwarz besitzt die Initiative" . Als Beispiel wird die Partie Enevoldsen-Larsen, Kopenhagen 1956, angeführt. Larsen gewinnt diese Partie auch, aber nicht mit dieser verblüffenden Pointe, die mir damals - 1986 - bei der Analyse meiner eigenen Landesklassen Partie gegen Heppner aufgefallen war.